NABU|naturgucker-Kongress 2023
Eröffnungsabend des NABU|naturgucker-Kongresses 2023 in der Paulinerkirche, (c) Gaby Schulemann-Maier
Nach mehrjähriger, durch die Corona-Pandemie bedingter Pause gab es im Herbst 2023 endlich wieder den NABU|naturgucker-Kongress. Vom 20. bis 22. Oktober 2023 fand er in Göttingen in der historischen Paulinerkirche statt.
Wie bei den früheren Veranstaltungen war es uns ein wichtiges Anliegen, in ungezwungenem Rahmen viel Raum für Begegnungen mit alten und neuen Bekannten zu bieten. Die einzelnen Tage des Kongresses hatten unterschiedliche Schwerpunkte. Am Freitagabend gab es vor allem Kultur und gutes Essen, der Samstag vermittelte jede Menge Wissen und der Sonntag mit seiner Exkursion bildete den praxisorientierten Teil.
Inhaltlich erwartete Sie ein auf den ersten Blick bunter Themenmix, der zusammengenommen aber ein (wichtiges!) großes Ganzes ergab. Unterm Strich lässt sich sagen, dass Sie auf dem NABU|naturgucker-Kongress 2023 viel darüber erfahren konnten, was aus kognitionspsychologischer Sicht beim Naturbeobachten passiert, wie sich dies auf die Datenqualität und die Bestimmung von Arten auswirkt und wie all dies mit dem Erlangen von Artenwissen zusammenhängen kann.
Wie Sie es von uns gewohnt sind, haben wir konventionelle Denkmuster kritisch hinterfragt, fundierte Informationen vermittelt und selbstverständlich auch an passender Stelle wieder Raum für ein wenig Humor und jede Menge Staunen geboten.
Im Folgenden finden Sie einen Rückblick auf unsere Veranstaltung.
Freitag, 20. Oktober 2023: buntes Abendprogramm
Schon ab dem Nachmittag war das Team von NABU|naturgucker fleißig und richtete in den Räumen der historischen Paulinerkirche in Göttingen alles für die Veranstaltung her. Gegen 18 Uhr trafen die ersten Teilnehmenden ein. Die Freude darüber, nach langer pandemiebedingter Kongress-Pause endlich wieder alte Bekannte und neue Gleichgesinnte zu treffen, war allenthalben groß – natürlich auch bei uns.
Während sich einige Teilnehmende untereinander austauschten, nutzten andere die Zeit, die Poster-Ausstellung anzuschauen. Denn es gab in diesem Jahr erstmals Platz für das das Präsentieren wissenschaftlicher Poster beziehungsweise Poster zur Vorstellung spannender (Naturschutz-)Projekte.
Weitere Besucher*innen nutzten die Gelegenheit, die Stände der Aussteller in Augenschein zu nehmen. So war beispielsweise → EuroNatur – Stiftung Europäisches Naturerbe mit von der Partie. Die engagierten Naturschützer*innen haben ihre Arbeit und Projekte vorgestellt, und das auch in einem → Vortrag am Samstag. An einem anderen Stand gab es ausgesuchte Bücher aus dem → Haupt Verlag zum Anschauen und Kaufen. Der Schweizer Verlag bietet ein breites Spektrum hochwertiger Werke rund um die Natur. Weitere Bücher lagen am Stand der → Crossbill Guides Foundation aus. Diese niederländische Organisation setzt sich seit vielen Jahren für den Naturschutz in Europa ein und gibt – inzwischen auch auf Deutsch – sehr informative naturkundliche Reiseführer heraus.
Gemeinsam mit Maik Sommerhage, Vorsitzender des NABU Hessen, begrüßte Stefan Munzinger von NABU|naturgucker die Teilnehmenden um 19 Uhr in der Paulinerkirche. Mit ihren riesigen Regalwänden voller Bücher bot sie mehr als genug Platz für die vielen Menschen, die an unserer Veranstaltung teilnahmen. Und sie bildete den perfekten Rahmen für den ersten offiziellen Programmpunkt. Dieser war die Preisverleihung anlässlich des Fotowettbewerbs → SIGMA Naturbild 2023. Das Foto einer Nilgans von Susanne Großnick war von einer Fachjury als herausragender Beitrag gekürt worden. Dafür wurde der begeisterten Hobby-Fotografin und Naturguckerin ein Objektiv der Spitzenklasse überreicht→ SIGMA 24–70mm F2,8 DG OS HSM | Art im Wert von 1449 €*. Kurz darauf gehörte die Bühne dem Jazz-Pianisten → Jan Luley, der mit seinem Können schon auf früheren NABU|naturgucker-Kongressen für gute Laune unter den Besucher*innen gesorgt hat.
Beim anschließenden gemeinsamen Abendessen im Foyer gab es jede Menge Häppchen und Co., selbstverständlich inklusive vegetarischer und veganer Varianten. Frisch gestärkt und nach ersten anregenden Unterhaltungen trafen sich die Kongressbesucher*innen danach wieder in der Paulinerkirche, wo ihnen der deutsche Zauberer → Cody Stone auf ebenso amüsante wie verblüffende Weise live vorführte, wie leicht sich unsere Sinne täuschen lassen. Damit warf ein großes Thema unseres Kongresses, das am Samstag fachlich erörtert wurde, bereits seine Schatten voraus. Der Freitagabend klang mit weiterer Livemusik von Jan Luley aus.
Samstag, 21. Oktober 2023: vielfältige Vorträge und Diskussionen rund um das Thema Naturbeobachtungen
Dieser Tag bot den Besucher*innen zahlreiche Möglichkeiten. Sie konnten sich in Vorträgen und Diskussionsrunden über Naturbeobachtungsthemen informieren sowie Fragen stellen, mit anderen Teilnehmer*innen austauschen und die Posterausstellung und die Stände der Aussteller besuchen. In einer Fragestunde gab das Team von NABU|naturgucker außerdem Tipps zur Nutzung der Meldeplattform und der Lernangebote der NABU|naturgucker-Akademie. Für das leibliche Wohl war ebenfalls gesorgt. Mittags und abends gab es warme Mahlzeiten, am Nachmittag versüßte Kuchen den Kongressbesuch.
Das Programm hatte drei Schwerpunkte:
- Praxisnahe Naturbeobachtungsthemen und dabei insbesondere kognitionsspychologische Aspekte der Naturbeobachtung und die Plausibilisierung von Naturbeobachtungsdaten, repräsentiert durch NABU|naturgucker und den NABU
- Erwerb und Ausbau von Artenwissen, repräsentiert durch NABU|naturgucker und die → NABU|naturgucker-Akademie
- Naturbeobachtung auf Reisen, hauptsächlich repräsentiert durch → NABU|naturgucker-Reisen.
Der Themenkomplex Artenwissen hatte zusätzlich einen engen Bezug zu Niedersachsen. In diesem Bundesland führt NABU|naturgucker verschiedene Aktivitäten durch, um Interessierten zu mehr Artenwissen zu verhelfen. Und nicht zuletzt ist die Idee zur Meldeplattform NABU-naturgucker.de einst in Niedersachsen entstanden. Mit dem Veranstaltungsort Göttingen findet auch der NABU|naturgucker-Kongress dort statt.
Los ging es an diesem Tag um 9 Uhr in der historischen Paulinerkirche mit einer Begrüßung der Anwesenden durch Ralf Schulte (NABU) und Stefan Munzinger (NABU|naturgucker). Darüber hinaus stellte Dr. Andreas Lindemann das Engagement der Niedersächsischen Bingo-Umweltstiftung vor, darunter die finanzielle Unterstützung unseres Kongresses. Gemeinsam mit Dr. Milena Stillfried berichtete Ralf Schulte über Neuigkeiten aus dem NABU; gefolgt von Regine Balmer (NABU|naturgucker-Akademie) und Stefan Munzinger, die erläuterten, wie sich naturgucker.de zu NABU|naturgucker entwickelt hat.
Ab 10 Uhr faszinierte Dr. Rüdiger Pohl mit seinem Leitvortrag „Ich sehe was, was du nicht siehst: Die Psychologie der Naturbeobachtung“ das Publikum. Der promovierte und habilitierte Psychologe beschäftigt sich intensiv mit der kognitiven und differenziellen Psychologie. Er gab in seinem Vortrag Einblicke in die Tücken der menschlichen Wahrnehmung, was in Bezug auf die Naturbeobachtung und das Melden der Sichtungen – zum Beispiel auf NABU-naturgucker.de – von enormer Tragweite ist.
Nach einer kurzen Kaffeepause begann das vielfältige Seminarprogramm. Es gab unter anderem Beiträge über Käfer, Grabwespen und farbenprächtige Vögel in Ecuador, über Orchideen in Südeuropa und die Landschaft Skandinaviens sowie über Forschungsergebnisse aus unserer Meldeaktion rund um die Nosferatu-Spinne und darüber, wie sich das Vermitteln und Erwerben von Artenwissen erfolgreich gestalten lässt. Das lief im Vortrag von Dr. Patrick Kuss sehr anschaulich ab. Unter seiner Regie führten einige Kongressbesucher*innen pantomimisch die Bestäubung einer Blüte live vor, → siehe Video. Eine vollständige Übersicht aller Vortragsthemen finden Sie → hier. Darüber hinaus bieten wir Ihnen viele Vortragsmanuskripte → an dieser Stelle zum Ansehen an.
Spannend waren auch die Diskussions- und Fragerunden. Nach einem kurzen Impulsreferat zum Thema diskutierten mittags sieben Fachleute das Thema „Generationswechsel bei den Artenkenner*innen: Wie ist er zu erreichen?“ auf der Bühne. Am späten Nachmittag konnten Interessierte ihre Fragen rund um die Verwendung der Webseiten, Apps und Lernangebote von NABU|naturgucker stellen. Vertreter’innen des Teams beantworteten diese live.
Nach dem Abendessen fand eine rund zweistündige große Diskussionsrunde statt, die das wichtige Thema beleuchtete: „Ist ein allgemeiner ‚Daten-TÜV‘ überhaupt sinnvoll? Und ist er tatsächlich unbedingt nötig?“. Im Vorfeld hatte NABU|naturgucker die Kongressbesucher*innen bei der Anmeldung zur Veranstaltung um die Beantwortung dieser Frage gebeten. Nach der lebhaften Live-Diskussion in der Paulinerkirche konnten die Anwesenden erneut ihre Meinung hierzu auf einem Stimmzettel abgeben. Die Ergebnisse, bei denen wir nur die Antworten der am Samstagabend Anwesenden berücksichtigt haben, sind sehr spannend. Unsere Fragestellung lautete:
Es gibt immer wieder Diskussionen über die Qualität von Naturbeobachtungsdaten. Ich meine deshalb, …
- … es sollte ein allgemeingültiges Qualitätssiegel für Naturbeobachtungsdaten geben.
- … es sollte Werkzeuge zur persönlichen Einschätzung der Qualität von Naturbeobachtungsdaten geben.
- … es braucht beides nicht!
Wir haben aus diesen Ergebnissen und der Diskussion einige sehr wichtige Erkenntnisse für NABU-naturgucker.de gewonnen und werden dieses für alle überaus wichtige Thema künftig weiter verfolgen.
Nach der Diskussion klang der Abend individuell aus und viele der Teilnehmer*innen verbrachten weitere Zeit miteinander und führten tolle Gespräche.
Sonntag, 22. Oktober 2023: Exkursionen zur Natur an der Leine und zu herbstlichen Pilzen
Nicht weit von Göttingen entfernt befindet sich mit den Leinepoldern zwischen Einbeck und Northeim ein ebenso artenreiches wie bedeutsames Naturparadies aus Menschenhand. Dorthin führte am 22. Oktober 2023 unsere Exkursion unter der Leitung von Gaby Schulemann-Maier und Dieter Schneider. Außerdem ging der aktive Naturgucker Torsten Hunger gemeinsam mit einigen Kongressbesucher*innen auf dem benachbarten Dohrenberg auf die Suche nach Pilzen.
In der gesamten Geschichte des NABU|naturgucker-Kongresses haben sich noch nie mehr Menschen für die Teilnahme an den Exkursionen angemeldet: 88 Kongressbesucher*innen wollten 2023 dabei sein. Hinzu kamen viele Team-Mitglieder von NABU|naturgucker und des NABU. Weil aber leider mehrere Züge von Göttingen nach Einbeck-Salzderhelden ausfielen, schafften es nicht alle Interessierten zum Exkursionsort. Vom Naturgucken abbringen ließen sich die in Göttingen gestrandeten Naturbegeisterten aber nicht. Sie verlegten ihre Exkursion kurzerhand in den → Alten Botanischen Garten.
Rund 70 Kongressteilnehmer*innen waren dagegen am frühen Morgen mit den letzten noch verkehrenden Zügen oder mit Autos nach Einbeck-Salzderhelden gelangt. Wie vorab geplant, wurden mehrere Gruppen gebildet, die die Natur gemäß ihrer Vorlieben erkundeten. Der aktive Naturgucker und Pilzkenner Torsten Hunger führte einige Kongressbesucher*innen auf den Dohrenberg bei Salzderhelden. Sie fanden dort unter anderem den Schwarzfuß-Stielporling und den Violettlichen Schwindling. Beim gemeinsamen Naturgucken wurde aber nicht nur auf Pilze geachtet, auch Pflanzen und Tiere landeten auf der Artenliste, siehe → Gebiet auf NABU-naturgucker.de.
Derweil erkundeten zwei große Gruppen die Leinepolder unter der Leitung zweier Team-Mitglieder von NABU|naturgucker die Natur: Dieter Schneider (Fachbeiratssprecher) und Gaby Schulemann-Maier (Leiterin Kommunikation). Die Teilnehmer*innen erfuhren mehr über die enorme Bedeutung der Polder für die Wasserwirtschaft und den Hochwasserschutz. Dieses Gebiet, das großräumig geflutet werden kann, ist für zahlreiche Arten ein wichtiger Lebensraum, darunter viele Vögel.
Am Exkursionstag waren leider nahezu noch keine Wildgänse da, die nordischen Überwinterungsgäste waren offenbar noch auf ihrem Weg in Richtung Leinepolder. Trotzdem gelangen den Naturbegeisterten einige spannende Beobachtungen. Auf der Artenliste landeten zum Beispiel Silberreiher, Rotmilan, Goldammer, Eisvogel, Reh und Rotfuchs. Sogar einige wenige Wirbellose waren noch aktiv, darunter Dreizehnpunkt-Marienkäfer, Kleiner Kohlweißling, Gestreifte Spornzikade und Schilf-Radnetzspinne. Einzelne Exemplare des Gemeinen Greiskrauts blühten noch, ebenso das Gewöhnliche Hirtentäschel, die Purpurrote Taubnessel und die Wiesen-Schafgarbe. Mit dem Wiesen-Staubbecher war zudem eine Pilzart unter den Funden. Selbstverständlich wurden alle Beobachtungen auf NABU-naturgucker.de gemeldet. Sie verteilen sich auf die folgenden Gebiete:
→ Leinepolder 1, Salzderhelden
→ Leinepolder Salzderhelden – Müllershausen bis Bahnhof Salzderhelden
→ Leine – Flussbettverlauf im Leinepolder 1
→ Leinewiesen und Leine bei Salzderhelden
In Gedenken an Hartmut Mai
Der NABU|naturgucker-Kongress war eine rundum gelungene Veranstaltung, an der Hartmut Mai sicher viel Freude gehabt hätte. Zu Lebzeiten hat er sich keinen unserer Kongresse entgehen lassen, er hat immer tatkräftig mit angepackt.
Hartmut war nicht nur als langjähriger Geschäftsführer des NABU Hessen für uns ein gleichermaßen wichtiger wie verlässlicher Partner und Unterstützer, sondern ebenso auf privater Ebene. Er trug bis wenige Tage vor seinem Tod über 32 000 Beobachtungen und mehr als 3 400 Naturfotos zur Datensammlung von NABU-naturgucker.de bei.
Herzlichen Dank für alles, was Du für uns getan hast, lieber Hartmut!
